Samstag, 3. Dezember 2011

"Ernüchterung statt Euphorie: Zehn Jahre NATO-Einsatz"

Zehn Jahre Afghanistan-Konferenz

Die richtigen Weichen wurden nicht gestellt

Vor zehn Jahren wurde in Bonn ein Neubeginn für Afghanistan verkündet. Nach der Vertreibung der Taliban sollte das Land Frieden, Demokratie und Wohlstand erhalten. Die damalige Konferenz galt als großer Erfolg. Jetzt wird wieder auf dem Petersberg getagt, doch die Bilanz fällt ernüchternd aus.
Von Ratbil Shamel, Deutsche Welle
Guido Westerwelle empfängt Hamid Karsai (Foto: dpa) Großansicht des Bildes Der afghanische Präsident Karsai reiste bereits am Freitag zur Konferenz in Bonn an. Er wurde in der Villa Hammerschmidt von Außenminister Westerwelle empfangen. Sie galt als wegweisend für Afghanistan: die erste große Petersberger Konferenz, die Ende November 2001 in der Nähe von Bonn stattfand. Auf massiven Druck der Vereinten Nationen einigten sich Vertreter verschiedener afghanischer Gruppierungen auf die Gründung eines demokratischen Staates. Das so genannte Petersberger Abkommen sollte Afghanistan in eine bessere Zukunft führen. Die Schreckensherrschaft der Taliban sollte ein für alle mal vorbei sein, Afghanistan nie wieder mit internationalen Terrororganisationen wie Al Kaida zusammenarbeiten.
Der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder sprach zum Abschluss der Bonner Konferenz, am 5. Dezember 2001, von einem großen Tag für Afghanistan: "Nach all den Jahren von Krieg, von Terror, von Not und Demütigung erhalten die Menschen in Afghanistan - und um die geht es vor allen Dingen - eine konkrete Friedensperspektive und eine wirtschaftliche Zukunftsperspektive."
Der Plan für den Neubeginn sah eine demokratische Verfassung, Parlaments- und Präsidentschaftswahlen vor. Die internationale Gemeinschaft sollte Afghanistan mit militärischer und finanzieller Hilfe zur Seite stehen. Diese Beschlüsse des Bonner Abkommens sind Schritt für Schritt umgesetzt worden - die erwartete Stabilität und der Aufschwung blieben aber aus.

Die Macht der Warlords

Die Bonner Konferenz habe versäumt, die richtigen Weichen zu stellen, kritisiert der afghanische Publizist Sayfudin Sayhon. Aus Angst, in Afghanistan könne ein Machtvakuum entstehen, habe man den Warlords großen Spielraum gegeben - mit fatalen Konsequenzen: "Die Vertreter von verschiedenen Militärgruppen haben mit dem Segen der internationalen Gemeinschaft den afghanischen Staat unter sich aufgeteilt." Die Warlords hätten in die eigene Tasche gewirtschaftet und nie ein Interesse daran gehabt, einen demokratischen Rechtsstaat aufzubauen, so Sayhon weiter.
Heute, zehn Jahre nach dem Bonner Abkommen, beherrschen Krieg, Armut, Drogenhandel und Korruption den Alltag der Menschen. Die rund 150.000 ausländischen Soldaten der ISAF-Schutztruppe und die afghanische Polizei und Armee sind nicht in der Lage, für die Sicherheit im Land zu sorgen. Die Taliban und ihre Verbündeten sind stärker denn je.

Intervention ohne Konzept

Diese Situation sei das Ergebnis einer planlosen militärischen Intervention, sagt Jochen Hippler, Politikwissenschaftler und Südasien-Experte an der Universität Duisburg. "Man hat kein wirkliches Konzept gehabt. Es war nicht klar, worum es gehen soll: um Demokratisierung, Terrorbekämpfung oder um den Aufbau eines Staates. Man hat lauter Dinge aufgelistet, aber sich nicht die Mühe gemacht, daraus eine Strategie zu entwickeln. Eine Strategie gibt es ansatzweise erst seit einem Jahr."
Doch das, was heute als Strategie gepriesen werde, sei vielmehr ein Rückzugsszenario. Nach Abzug der internationalen Truppen soll die afghanische Regierung ab 2014 allein für die Sicherheit im Land verantwortlich sein. Zehn Jahre nach  dem Neubeginn sei Afghanistan von einem echten Frieden jedoch weit entfernt, so Hippler.

Zaghafte Fortschritte

Trotz aller Fehlentwicklungen gebe es in seinem Land aber auch Erfolgsgeschichten, betont Sayhon: "Afghanistan hat deutliche Fortschritte im Bereich der Telekommunikation, Bildung und Infrastruktur vorzuweisen. Und was viel wichtiger ist: Die Taliban stellen in unserem Land nicht mehr die Regierung."
Zudem habe die gesetzlich garantierte Pressefreiheit, trotz aller Probleme, zu einer noch nie dagewesenen Medienvielfalt im Land geführt. Doch diese Errungenschaften stehen ebenfalls auf wackligen Füßen. Auch dem Experten Sayhon ist klar: Ohne massive Hilfe aus dem Ausland ist bis heute kaum eine Branche in Afghanistan überlebensfähig.

Stichwort ISAF

Die Abkürzung ISAF steht für "International Security Assistance Force" ("Internationale Sicherheitsunterstützungstruppe"). Ihre Aufstellung für einen Einsatz in Afghanistan wurden am 20. Dezember 2001 durch den UN-Sicherheitsrat beschlossen.

Als Hauptziele nennt die ISAF Erhöhung der Sicherheit, Unterstützung der afghanischen Armee und der afghanischen Regierung sowie Wiederaufbau und sozioökonomische Entwicklung des Landes.

Seit 2003 wird die ISAF von der NATO geleitet. Aktuell sind in der ISAF 48 Länder mit rund 130.000 Soldaten vertreten. Deutschland ist mit einer Truppe von 5000 Mann plus einer Reserve von 350 Soldaten der drittgrößte Beteiligte.
 
Stand: 03.12.2011 11:48 Uhr

meta.tagesschau.de